Schimon Peres, der einsame Optimist
Die Siedler hassen ihn, die Linken halten ihn für einen Verräter
warum Schimon Peres Friedenspläne schmiedet, denen kaum einer eine Chance
gibt.
Von Thorsten Schmitz
Israels Außenminister, isoliert im eigenen Land: Schimon
Peres (dpa )
(SZ vom 15.3.2002) - Tel Aviv, 14. März Ein ganz
normaler Tag in Israel: 18 Palästinenser werden getötet und ein Israeli.
Israelische Soldaten nehmen 1000 Palästinenser fest, verbinden deren
Augen, schreiben Nummern auf ihre Unterarme. Nach einem Protest von
Holocaust-Überlebenden verzichtet die Armee umgehend auf die Nummerierung.
Am Mittag gibt die ultrarechte Fraktion Nationale
Union/Israel, unser Haus ihren Austritt aus der Koalition bekannt. Sie
hält die Aufhebung des Hausarrests von Arafat für Selbstmord.
Außenminister Schimon Peres begrüßt Scharons Entscheidung am Nachmittag in
einem Fernsehinterview mit einem Vergleich: Selbst eine kaputte Uhr zeigt
zweimal am Tag die richtige Zeit an.
Am Abend demonstrieren 60.000 rechte jüdische Siedler
auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv für eine Intensivierung der
Vergeltungsschläge gegen Arafat und die Palästinenser. Auf manchen
Plakaten steht Peres=Heres, Heres heißt Unglück auf Hebräisch.
Ungewöhnlich an diesem Montag ist die Wüstenhitze. Mit 37 Grad wird in Tel
Aviv der heißeste März seit 1950 gemessen. Den Tag über ist der Strand mit
Menschen voll. Über ihren Köpfen fliegen Kampfhubschrauber auf dem Weg
nach Gaza.
Schimon Peres ist seit halb sechs auf den Beinen. Er
steht jeden Tag so früh auf, studiert die vier israelischen
Tageszeitungen, die Herald Tribune und Le Monde, während das Radio läuft.
Ab acht Uhr sitzt Peres in seinem Büro in Tel Aviv, am Mittag trifft er
den Verteidigungsminister und Knesset-Abgeordnete in Jerusalem, am
Nachmittag Achmed Kurei, den palästinensischen Parlamentssprecher.
Zwischendurch gibt er drei Interviews und sagt dreimal den Uhren-Satz. Um
neun Uhr räumt Peres seinen Schreibtisch im Knessetbüro und lässt sich in
seinem weißen gepanzerten Volvo wieder zurück fahren nach Tel Aviv. Auf
ein Pop-Konzert. Dort lächelt Peres zum ersten Mal an diesem Tag.
Gebügelt im Büro
Es ist eine Party in Erinnerung an die vor zwei Jahren
an Aids gestorbene Sängerin Ofra Haza, die mit ihrem Oriental-Pop auch in
Europa bekannt ist. 4000 junge Menschen singen und tanzen in der
Kulturhalle von Tel Aviv zu Ofra Hazas Liedern. Mittendrin steht der 78
Jahre alte Außenminister von Israel wie von einem anderen Stern und erntet
lauten Applaus. Seine drei Bodyguards halten nach Attentätern Ausschau.
Am darauf folgenden Morgen sitzt Peres wie gebügelt in seinem von türkisen
Tönen dominierten Büro vor einem Schwarzweißfoto, das ihn mit
Staatsgründer David Ben-Gurion zeigt. Alle Rollläden sind
heruntergelassen, das Neonlicht brennt von der Decke, es könnte jetzt auch
Mitternacht sein. Bevor Peres Fragen nach Krieg und Frieden beantworten
soll, will er selbst etwas wissen: Sind Sie gestern noch länger geblieben
auf der Party? Ich musste ja leider früher gehen.Das Fest ging noch bis
weit nach Mitternacht. Zum Schluss haben alle getanzt.Was war Ihr
Eindruck?Sie sind nicht gerade unbeliebt gewesen.Nicht gerade
unbeliebt? Da waren fast nur junge jemenitische Juden, die sonst
üblicherweise rechts eingestellt sind, und sie haben mir alle zugejubelt!
Der Außenminister nippt am pechschwarzen Kaffee, kämmt das silberne Haar,
lässt die Liebe wirken, die ihm am Vorabend entgegenschlug, als könne er
nicht genug davon bekommen. Das Büro ist ein Raumschiff, das die hässliche
Gegenwart verschluckt, sobald man es betritt. Das ganz normale Israel ist
weit wegbis ein Assistent dem Außenminister eine Nachricht reicht, dass
soeben ein Israeli erschossen und zwei weitere schwer verletzt worden
sind.
Peres zeigt keine Regung. Wo waren wir stehen geblieben? Auf die Frage,
wie er den Anschlag beurteilt, zementiert der Friedensnobelpreisträger die
Realität in schützende Worte: Rückschläge sind ein wesentlicher
Bestandteil in Krisensituationen. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt von
Krisensituationen. Das Leben ist schwer, aber im Vergleich wozu? Schmerzen
sind menschlich, aber sie dürfen in der Politik keine Rolle spielen. Das
mag einer der Gründe sein, weshalb Peres in Israel als arrogant und eitel
gilt, als Spitzenkandidat noch nie eine Wahl um das Amt des
Premierministers gewonnen und auch die Schlacht um das Präsidentenamt
verloren hat: Ein Israeli wird erschossen und zwei liegen schwer verletzt
im Krankenhaus, und er drückt kein Mitleid aus. Für Peres ist nur die
Zukunft realder grausame, hässliche Alltag scheint ihm abstrakt zu sein.
Mit ungebrochener Zuversicht propagiert der aus einem polnischen Dorf
stammende Peres selbst im blutigsten Monat der Intifada den Frieden und
die Idee vom Neuen Nahen Osten, über die er 1993 ein ganzes Buch
verfasst hat. 160 Palästinenser und 60 Israelis sind in den ersten 15
Tagen des März getötet wordenund stoisch träumt Peres von einer
wirtschaftlich florierenden Region aus Israel, Palästina, Jordanien und
nicht, wie das zunehmend desillusionierte israelische Volk, von Mauern und
Grenzen und Zäunen: Mauern stoppen keine Raketen und keine
Umweltverschmutzung, lediglich den Handel. Niemand in Israel spricht
zurzeit die Sprache von Peres. Er ist allein und isoliert wie nie.
Während ihn die Welt hofiert, genießt Peres in Israel viel weniger
Ansehen. 68 Jahre nach der Immigration ins damalige Palästina spricht er
Hebräisch mit stark polnischem Akzent, und er hat nicht wie die meisten
Politiker eine glänzende Armeekarriere vorzuweisen. Das gilt in Israel als
Manko. Sowieso schätzen die meisten Israelis erdverbundene und deftig
auftretende Volksvertreter, und haben nichts übrig für feine Anzüge und
Krawatten.
Es gibt nicht wenige in Israel, die wünschten, Peres würde sich aus der
Politik zurückziehen. Dazu ist es zu spät, denn Peres kann noch nicht mal
Urlaub machen: Was soll ich denn im Urlaub, mehr schlafen, mehr essen?
Immer wenn ich Urlaub brauche, lese ich ein Buch. Ich schwimme lieber im
See der Weisheit als im salzigen Meerwasser.
Es ist schwierig, in Israel jemanden zu finden, der Peres uneingeschränkt
positiv betrachtet. Die jüdischen Siedler hassen ihn und vergleichen ihn
mit Arafat. Die Rechten und Religiösen in der Regierung werfen ihm vor, er
verführe Scharon zu Konzessionen gegenüber Palästinenserpräsident Jassir
Arafat. Die Linken seiner Arbeitspartei Awoda halten ihn für einen
Verräter, der aus reinem Machtinstinkt der Koalition beigetreten ist und
Scharon als Feigenblatt diene für einen unerklärten Krieg.
Der frühere Justizminister Jossi Beilin äußert sich bitter über seinen
einstigen Mentor. Er sitzt in seinem Tel Aviver Büro und sagt: Jeder
weiß, wer Scharon ist. Jemand, der jeden Friedensprozess sabotiert und die
Siedler noch vor der Rückgabe von Teilen des Westjordanlandes aufgefordert
hat: Greift und besetzt so viele Hügel wie ihr könnt! Scharon hat Arafat
noch nie die Hand geschüttelt und wird das auch nicht tun.
Er war als Verteidigungsminister nach den Massakern in den libanesischen
Flüchtlingslagern Sabra und Schatila untragbar. Peres fungiert für Scharon
als Rabbiner, der seiner Regierung den Koscher-Stempel aufdrückt. Peres,
sagt Beilin, habe der Arbeitspartei das Kainsmal verpasst. Peres
langjähriger Weggefährte Gideon Levy, der als Reporter für Haaretz die
Palästinensergebiete bereist und so den Israelis einen von der
Militärzensur ungetrübten Blick auf die Situation ermöglicht, hat vor
kurzem einen offenen Brief an den Außenminister geschrieben.
Einen Freundschaftsaufkündigungsbrief, der in den Worten gipfelt: Diese
Regierung ist eine Verbrecherregierung. Und Du bist ein Teil dieser
Verbrechen gegen die Palästinenser. Selbst politische Weggefährten wie
Colette Avital haben nur noch Mitleid übrig für Peres: Es ist tragisch
mitanzusehen, wie Schimon seinen guten Ruf in dieser Regierung verspielt.
Er kann einfach nicht loslassen.
Der Teflon-Mann
Peres ist nicht aus Holz geschnitzt, sondern wirkt wie
aus Teflon geformt Kritik perlt an ihm ab: Ich habe keine Angst davor,
unpopulär zu sein. Ich habe die Hoffnung, und mag sie auch naiv sein, dass
Scharon mich braucht und dass ich ihn beeinflussen kann. Ich muss mir
selbst gegenüber Rechtfertigung ablegen, nicht meinen Kritikern. Peres
hat über all die 50 Jahre hinweg, in denen er mehrfach Israel als
Premier-, Verteidigungs-, Finanz- und Außenminister gedient hat, einen
Mechanismus entwickelt, die Realität nicht an sich herankommen zu lassen.
Er schwebt.
Seinem neuen Friedensplan, den er zusammen mit dem palästinensischen
Parlamentssprecher Achmed Kurei entwickelt hat, räumt niemand Chancen ein.
Außer ihm selbst. Ich habe etwas, was keiner meiner Kritiker besitzt:
Einen Plan. Die Zukunft wird immer von einer Minderheit gestaltet, während
die Vergangenheit stets von einer Mehrheit geprägt ist. Ich bin nicht
beeindruckt von den ätzenden Kommentaren.
Der Plan sieht vor, dass Arafat schon jetzt Palästina ausruft, bevor
innerhalb eines Jahres die Hauptstreitpunkte wie Jerusalem und die
Flüchtlingsfrage gelöst werden. Bei seinem Versuch, die Gewalt zu beenden
und sein Lebenswerk, den Osloer Friedensprozess, zu retten, kommt Peres
die Fähigkeit zur Ausblendung gelegen. Manchmal ist ihm anzusehen, wie
viel Abscheu er empfinden mag für die Militanz der Regierung.
Als Scharon vor ein paar Wochen erklärte, er bedauere, Arafat vor 20
Jahren während des Einmarsches israelischer Truppen in den Libanon nicht
getötet zu haben, musste Peres sich unangenehme Fragen gefallen lassen.
Entweder er flüchtet sich in solchen Fällen in Metaphern. Stoff dafür
liefern ihm die Bücher, die er verschlingtzurzeit den neuesten Roman von
seinem Freund Amos Oz. Oder er rettet sich auf verbale Inseln, wo ihm
niemand etwas anhaben kann, wie in diesem Fall auf einer Pressekonferenz
in Jerusalem: Ich habe das nicht gesagt. Scharon hat diese Aussage
gemacht und ich kommentiere nicht dessen Aussagen.
Peres hat sein Leben der Politik und den Büchern geopfert und, wie er
sagt, die Erziehung seiner Kinder der Frau überlassen. Sein Sohn ist
Veterinär und Vorsitzender einer Organisation für Blindenhunde, seine
Tochter Linguistin. Sie arbeiten beide schwer, sagt Peres. Über seine
Frau Sonja, mit der er seit 1945 verheiratet ist, verliert er nie ein
Wort. Sie hält sich so zurück aus der Öffentlichkeit, dass sie sich sogar
einmal ausweisen musste, als sie ihren Mann im Außenministerium besuchen
wollte. Wenn man ihn fragt, was ihn antreibt, dann sagt er: Frieden zu
schaffen für mein Volk.
Vertrag in Flammen
Das war nicht immer so. Peres hat Siedlungen errichten
lassen wie etwa Kiriat Arba nahe Hebron, den Atomreaktor in Dimona in der
Negevwüste gebaut und die israelische Luftfahrtindustrie mit gegründet.
Darauf angesprochen, sagt Peres: Ich war ein Falke, aber als wir Frieden
machen konnten, war ich eine Taube. Bei der Transformation behilflich
waren Peres Freunde der europäischen Linken, Bruno Kreisky etwa, Willy
Brandt und Olof Palme.
Heute sieht Peres als letzter Optimist im Nahen Osten einen Frieden auf
Lager, der nur aus der Schublade geholt werden müsse. Er zeigt sich zwar
enttäuscht von Arafat, mit dem er sich den Friedensnobelpreis teilt, von
dem er aber auch sagt: Er hat viel dazugelernt. Arafat habe den
Oslo-Vertrag unterzeichnet und Israel anerkannt. Dass Arafat den Vertrag
gerade in Flammen aufgehen lässt und gegen Israel hetzt, tut Peres mit
einem langgezogenen Naaa ab.
Weshalb er einer Regierung angehöre, die der Ansicht ist, dass Arafat
außer Gewalt in seinem Leben gar nichts gelernt hat, auf diese Frage
erhält man das zweite lang gezogene Naaa. Er liefert seinen
Lieblingssatz, der in Hunderten von Stenoblöcken geschrieben steht: Ich
glaube nicht, dass man Feuer mit Feuer auslöschen kann. Um eine Mehrheit
für Frieden zu schaffen, muss ich mich mit Elementen der Rechten
zusammentun. Er sehe seine Aufgabe darin, das jüdische Volk zu retten.
Das möchte Scharon auch. Insofern sind Peres und Scharon wie Yin und Yang.
Die beiden über 70-jährigen Politiker, die Staatsgründer Ben-Gurion
persönlich gekannt haben, sie waren im Laufe ihres Lebens ebenso oft
Kameraden wie politische Feinde. Jetzt hängen sie voneinander ab wie ein
altes, Tango tanzendes Ehepaar: Scharon gewährt dem fast 79 Jahre alten
Peres mit dem Posten des Außenministers eine letzte große Tour durch die
Weltund der distinguierte europäische Israeli Peres neutralisiert
Scharons brutales Farmer-Image durch die Beteiligung der Arbeitspartei.
Ohnehin habe er großen Respekt vor Scharon: Wir teilen viele
Erinnerungen, und das Schöne an Scharon ist, wenn wir vertraulich
miteinander reden, dringt nichts an die Öffentlichkeit. Auf die Frage,
wie weit sein Einfluss reiche, orakelt Peres: Ich schließe nicht mehr
aus, dass Arafat und Scharon sich treffen.
Das Telefon klingelt, Peres entschuldigt sich. Es ist wichtig. Seine Miene
verdüstert sich. Am Apparat ist der Assistent von Scharon, der das
Dienstags-Treffen von Peres und Scharon in Jerusalem für diesen Abend
bestätigen will. Peres sagt zu, und zeigt sich sehr ungehalten über die
Realität. Sagen Sie mal, gestern Abend hat Scharon mir noch versichert,
er werde die Vergeltungsangriffe auf Ramallah einstellen, und heute Morgen
sind schon wieder Hubschrauber im Himmel über Ramallah. Was soll das?
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