Jasir Arafath:
Präsident des
ewigen Konflikts
Jassir Arafat ist
gefangen in der Rolle des Opfers
mit ihm ist kein Staat mehr zu
machen
Von Thorsten Schmitz
Der hastig arrangierte Not-Gipfel in Scharm el-Scheich beruht auf
einer wechselseitigen Erpressung. Das Szenario ist simpel: Clinton
musste Arafat versprechen, den beim letzten Gipfel in Camp David
ausgehandelten Kompromiss nicht publik zu machen, weil die Verweigerung
Arafats im Licht der weitgehenden Konzessionen der Israelis als
Instinktlosigkeit interpretiert würde.Clinton wiederum war erpressbar, weil er vor den Wahlen in den USA
keinen brennenden Nahen Osten gebrauchen kann. Ein Präsidentschaftskandidat
George Bush, der sich genüsslich über das vielfache Scheitern des
Friedensmoderators Clinton und dessen Stellvertreters Gore lustig macht,
ist ein Albtraum der Wahlkampfstrategen der Demokraten. Also musste
Arafat Clinton zusagen, er werde bis zum Wahltag für Ruhe in den palästinensischen
Gebieten sorgen. Und siehe da: es funktioniert. Die Gewalt ebbt ab, die
Diplomatie hat das Wort und Arafat die Zügel in der Hand.
Es grenzt an bloßes Gerede, dass der alternde Palästinenserpräsident
(dessen reguläre Amtszeit bereits im Mai 1999 abgelaufen war) die Lage
nicht im Griff habe. Im Gegenteil: Arafat höchstpersönlich steht
hinter der jüngsten Gewaltwelle, die er zumindest bereitwillig
toleriert, wenn nicht gar initiiert hat. In Wahrheit muss der Präsident
dem Brandstifter Ariel Scharon dankbar sein. Der hat mit seiner
Stippvisite auf der Tempelberg-Esplanade nur die Lunte gezündet zu
Arafats Krieg. Denn Arafat kämpft ums Überleben und kann alles
gebrauchen nur keinen Endstatus in den Beziehungen zu Israel.
Insofern findet er Gemeinsamkeiten mit Scharon, dessen mittelalterliches
Gut-Böse-Schema nur in Kriegszeiten funktioniert.
Arafat hat Angst vor dem Frieden und vor dem eigenen Volk. Die von
ihm orchestrierten Unruhen sollen den Status quo zementieren und davon
ablenken, dass Arafat seinem Volk sieben Jahre nach der Konferenz von
Madrid keinen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht. Mit Barak war
Arafat einem Frieden gefährlich nahe gekommen. Barak ist der
konzessionsfreudigste israelische Premier sogar über Jerusalem ließ
er mit sich reden und nahm dafür die Auflösung der Regierungskoalition
in Kauf.
Insofern war Baraks verteufelter Vorgänger Netanjahu der bessere
Gegenspieler für Arafat. In dieser Konstellation war Arafat der Gute,
zu bemitleiden und zu unterstützen. Kein Präsident besuchte öfter das
Weiße Haus, und die EU ließ den Geldfluss in die Palästinensergebiete
nicht versiegen obwohl ihre Rechnungsprüfer wiederholt festgestellt
hatten, dass nur ein Bruchteil etwa in die Infrastruktur fließt. Mit
einem Großteil des Geldes bezahlt Arafat Polizisten und milizähnliche
Soldaten, die ihm die Hände küssen und dabei zuschauen, wie
israelische Soldaten gelyncht werden. Sie werden Arafat immer hörig
sein, weil er ihnen ein Einkommen garantiert.
Arafat fürchtet sich auch vor seinem zunehmend radikalisierten Volk.
Gäbe es demokratische Wahlen, wäre er kein Präsident mehr. Palästinensische
Intelligenzia und Geschäftsleute würden Arafat schnell ablösen. Zu
laut sind die Klagen über Korruption und fehlende Meinungsfreiheit.
Arafat hat über die Jahre hinweg sein Volk belogen. Er hat sich nie
getraut, die Wahrheit zu sagen, dass nämlich ein Ausgleich mit Israel
einen Kompromiss voraussetzt: Nie würden palästinensische Flüchtlinge
nach Akko oder Haifa zurückkehren können. Die Palästinenser könnten
längst freier und in geringerer Armut leben, wenn Arafat nicht dazu
neigte, alles Erreichte durch Gewalt zu zerstören.
Arafat ist so sehr in der Rolle des ewigen Opfers gefangen, dass er
nicht erkennen will, welche Chance Barak bietet. Die Unruhen sind nur
Ausdruck dieser Grundhaltung. Barak sagt nun bereits, dass es mit dem
palästinensischen Volk irgendwann einen Frieden geben werde, nicht aber
mit der derzeitigen Führung. Auch Clinton hat den Präsidenten
der Palästinenser aufgegeben. Die Konfliktparteien warten auf Arafats
Nachfolger.
MEINUNGSSEITE / Dienstag, 17. Oktober 2000
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