Ehud Barak auf
den Spuren Jizhak Rabins:
Der einsamste
Premier der Welt
Scheitern des
Friedensprozesses bedeutet
das Ende für Israels Ministerpräsidenten
Ehud Barak
Von Thorsten Schmitz
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Die palästinensische Friedensaktivistin Hanan Aschrawi liegt auf dem
Boden ihres Einfamilienhauses in Ramallah und geht in Deckung. Soeben
haben israelische Hubschrauber auf die autonome Stadt im Westjordanland
Raketen abgeschossen, die Erde hat gewackelt, sagt Aschrawi über
Handy: Die Situation ist extrem gefährlich. Wenige Stunden zuvor
hatten zwei israelische Reservesoldaten genauso um ihr Leben gezittert.
Mehrere hundert aufgebrachte Palästinenser haben diese zwei Familienväter
regelrecht gelyncht, wie der Sprecher der israelischen Armee
Yarden Vatikay mitteilt. Seinen Worten zufolge filmte ein US-Fernsehteam
den palästinensischen Mob, als er die ermordeten Soldaten anzündete.
Die Palästinenserpolizei habe das Filmmaterial konfisziert. |
Die beiden Soldaten befanden sich in einem Zivilwagen auf dem Weg zu
einer Militärbasis bei Ramallah. Jeder Israeli im wehrpflichtigen Alter
muss einmal im Jahr vier Wochen Dienst im Militär ableisten, Miluim
genannt. Die zwei Soldaten fuhren aus Versehen ins Stadtzentrum von
Ramallah, das sich unter Kontrolle der Palästinenser befindet. Dortige
Polizisten nahmen die zwei fest und mit auf die Wache. Das sprach sich
rasch herum. Eine wütende Menge stürmte die Wache und tötete unter
den Augen der Polizisten die zwei Soldaten. Anschließend wurden ihre
Leichen durchs Zentrum geschleift und verbrannt. Kurz darauf
bombardierte Israel Ramallah und Arafat erklärte den Notstand in Gaza.
Es ist Krieg in Israel und Ehud Barak ist der einsamste
Premierminister der Welt. Verlassen von fünf Koalitionsparteien und
neun Ministern hat er sich mühsam bis zu diesen Kämpfen hinübergerettet.
Sie zerstören sieben Jahre Friedensarbeit und Baraks Mission, dieses
Werk zu vollenden. Der frühere Generalstabschef hat sich die Rolle des
politischen Märtyrers selbst ausgesucht. Denn Barak ist General, kein
Politiker. So besinnt er sich auf eine in der Armee erlangte Einsicht:
Wenn es drauf ankommt, bist du allein. Er betrachtet die Schaffung eines
Ausgleichs mit den Palästinensern als Planspiel. Dass Barak dazu aber
die Unterstützung von Parteien und Politikern braucht, hat er bis heute
nicht verstanden. Erst jetzt, nachdem der palästinensische Mob zwei
israelische Reservesoldaten gelyncht hat, fleht Barak den
oppositionellen Likud um Hilfe an.
Trotz Notstandsregierung läuft die Sanduhr für Barak. Der einsame
Premier hat nur noch 40 Knesset-Abgeordnete hinter sich im 120-köpfigen
Parlament. Nach dem Auszug der ultra-orthodoxen Schas, der linken Meretz
und dreier anderer religiöser Parteien dachte der Premier, er könne
auf die Unterstützung der vier arabisch-israelischen Parteien bauen.
Aber auch hier funktioniert Baraks Planspiel-Szenario nicht. Inzwischen
beteiligen sich arabische Israelis am palästinensischen Kampf gegen den
Judenstaat. Knesset-Abgeordnete wie Achmed Tibi oder Asmi Bischara haben
Barak bereits gesagt, sie seien für Neuwahlen und nicht für ihn.
Einzelgänger Barak kann noch nicht mal die eigenen Leute einen.
Kommunikationsminister Ben Eliezer sagt, der Friedensprozess ist
tot und alle Parteien müssten zusammengehen. Sein Kollege aus dem
Justizressort Jossi Beilin hält das für unklug, da man so der
Welt signalisiere: Wir haben den Friedensprozess aufgegeben.
Der Vorsitzende der zweitstärksten Fraktion im Parlament, Likud-Chef
Ariel Scharon, wird einer Notstandsregierung beitreten aber nur bis
zum Tag der Neuwahlen. Er macht Baraks angeblich zu kompromissbereite
Politik gegenüber Palästinenserpräsident Arafat für die Unruhen
verantwortlich. Ab Ende Oktober wird sich Barak mehreren
Misstrauensvoten und Anträgen zur Knesset-Auflösung stellen müssen
und er wird verlieren. Zwar ist er ein vom Volk gewählter Premier,
aber ohne Rückendeckung im Parlament und im Volk.
Die Israelis vollziehen gerade einen Rechtsruck, geschockt von
gelynchten Soldaten und Attacken arabischer Israelis auf jüdische. Von
Barak versprochenen zivilen Reformen wie einer Aufhebung eines
Fahrverbots für Busse und Bahnen am Sabbat können die Bürger im
Moment nichts abgewinnen. Vieles deutet darauf hin, dass bald eine
Hardliner-Regierung des Likud die Geschicke des Landes bestimmen wird.
Die Gunst der Stunde eines politischen Comebacks nutzt Baraks Vorgänger
Benjamin Netanjahu. Vor internationalen und israelischen Kameras gibt er
in diesen Tagen den besonnenen und besorgten Staatsmann. Mit messbarem
Erfolg: In jüngsten Umfragen führt Netanjahu bereits mit sechs
Prozentpunkten vor Barak.
NACHRICHTEN / Freitag, 13. Oktober 2000
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