Israels
Ministerpräsident:
Barak kämpft
an zwei Fronten
Israels Premier muss mit
Arafat verhandeln
und sein innenpolitisches Überleben sichern
|
Selbst wenn er es schaffen könnte, die blutigen Unruhen im Land zu
stoppen Ehud Barak muss nicht nur dies eine Schlachtfeld befrieden.
Der israelische Premier, der derzeit ohne parlamentarische Mehrheit
regiert, wird sich womöglich schon Ende des Jahres Neuwahlen stellen müssen.
Die Notstandsregierung mit dem rechtsnationalen Likud, die er jetzt nach
dem Ablauf des Ultimatums formieren will, wäre nur eine Überbrückungsmaßnahme. |
Um sein politisches Überleben zu garantieren, hat sich Barak der säkularen
Mehrheit der Israelis erinnert und sucht nun, ihnen seine Vision von
einem modernen Israel schmackhaft zu machen. Auf seiner Mission
Stimmenfang betätigt sich Barak als Revolutionär im Kulturkampf. Er
frappiert die Öffentlichkeit mit unerhörten Ideen, während sich
fromme Orthodoxe und weltliche Liberale darum streiten, welche Regeln
das öffentliche Leben in Israel bestimmen sollen. Israel soll sich
fit machen fürs 21. Jahrhundert, sagt Barak und ließ das
Religionsministerium auflösen, das über viele Jahre hinweg die
Hochburg etlicher religiöser Parteien war.
Der weltlich orientierte Premierminister macht plötzlich
Ungerechtigkeiten in seinem Land aus, die schleunigst geändert
werden müssen. Sein Reformplan: Busse und Bahnen, die bislang von
Freitagabend bis Samstagabend stillstehen, sollen künftig auch am
heiligen Schabbat fahren dürfen. Es sei unerträglich, sagt er,
dass ärmere Bürger, die kein eigenes Auto besitzen, samstags nicht an
den Strand fahren könnten.
Barak will auch verhindern, dass jährlich zehntausend nicht-religiöse
Israelis nach Zypern fliegen, um zu heiraten. Der Premier will nun plötzlich
zivile Standesämter erlauben. Auch die staatliche Fluglinie El Al soll
künftig an Frei- und Samstagen fliegen dürfen dass die Maschinen
regelmäßig einen Tag pro Woche am Boden bleiben, beschert der
Fluggesellschaft einen Verlust von einer Million Dollar. Barak würde El
Al gerne privatisieren, aber kein Investor würde eine Fluglinie kaufen,
die an nur sechs Tagen fliegt.
Das hoch entwickelte High-Tech-Land Israel muss sich im Alltag immer
noch altertümlichen Regeln beugen sie sind Teil der Konzessionen
von David Ben-Gurion an die Ultra-Orthodoxen, der sich damit 1948 die
Erlaubnis erkaufte, einen Staat auszurufen. Hotels, Universitäten,
Gerichte, Krankenhäuser und Armee müssen nach koscheren Regeln
wirtschaften in ihren Restaurants kann man etwa keinen Cappuccino
nach einer Mahlzeit bestellen, weil Fleisch und Milch zusammen unkoscher
wären. Die Rabbinate wachen über die Einhaltung der Rituale bei
Geburt, Heirat und Tod. Oder sie regen Untersuchungen an, wenn ein
Techniker in London das Flugzeug des Premiers an einem Schabbat
repariert.
Ehud Barak will mit Reformen die Bevölkerung für sich gewinnen,
aber im Parlament verscherzt er sich damit die Gunst der religiösen
Parteien. Schon wettert der Schas-Sprecher Itzchak Sudri, dass Barak das
heilige Land entweihe und droht: Der Kampf mit den Palästinensern
ist Barak offenbar nicht genug.
Thorsten Schmitz
NACHRICHTEN / Dienstag, 10. Oktober 2000
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