Zwei Monate nach Errichtung des ersten Krematoriums in
Israel hat die betreibende Firma alle Hände voll zu tun - nicht mit
Einäscherungen, sondern mit Kämpfen gegen alle Welt. Der Verband der
Identifzierer menschlicher Überreste (Zak'a) bemüht sich mit allen
Mitteln um die Schließung des Krematoriums. Die für
traditionell-jüdische Bestattungen zuständige religiöse Organisation "Chevra
Kadischa" vergleicht die Einäscherungen mit der Schoah und behauptet,
dass sie gegen die halachischen Gesetzesvorschriften verstoßen, und die
Nationalversicherungsanstalt 'Bituach Le'umi' verweigert den Krematorien
die bei konventionellen Bestattungen geleistete Zuwendung. Der Direktor
des Krematoriums will seinerseits den Kampf so lange fortsetzen, bis die
von ihm eingeführte Alternative sich durchgesetzt hat.
Zum Thema berichtet Ronen Tal (Jediot Achronoth): Noch bis
vor einem Jahrzehnt herrschte in Israel allgemeiner Konsens in Bezug auf
das jüdische Bestattungswesen. Fast 100% der verstorbenen Einwohner
wurden von der "Chevra Kadischa" bestattet. Vor etwa zwei Monaten trat
eine drastische Wende ein, als das erste Krematorium in Israel eröffnet
wurde. Viele begrüßten die Möglichkeit einer Alternative zur
Erdbestattung in Israel. Alon Nativ, der Direktor des
Krematoriumsunternehmens "Alei Schalechet" (Laubfall), sieht das Recht
auf Einäscherung als natürliches Personalrecht der säkularen
Bevölkerung. Genau so wie immer mehr Paare in Israel ohne
Rabbinatstrauung zusammen leben und viele Jugendliche auf die Bar-Mizwah
verzichten, sowie fünf Prozent der in Israel geborenen jüdischen Jungen
nicht beschnitten werden, handle es sich um eine natürliche säkulare
Entwicklung.
Das Krematorium "Alei Schaleehet" wird vorsichtshalber an
einem geheim gehaltenen Ort bei Chedera betrieben. Ein Journalist, der
Direktor Nativ um ein Interview bittet, muss sich zur Geheimhaltung des
Ortes verpflichten. Die Unternehmer fürchten den Zorn der Religiösen.
Viele Gegner werden auch durch den Rauch aus dem Schornstein an
fürchterliche Assoziationen aus der Schoah erinnert. Eine Einäscherung
kostet im Durchschnitt an die 10.000 Schekel. Das Interesse ist
vorläufig nicht groß. Nativ erklärt, bis heute habe es etwa zwanzig
Einäscherungen gegeben. Aber ca. hundert Klienten - möge ihnen ein
langes Leben beschieden sein, meint der Unternehmer - haben einen
Vertrag über eine Verbrennung ihrer sterblichen Überreste unterzeichnet
- "so wie sie eine Lebensversicherung oder ein Testament unterzeichnen";
meint Nativ.
Nurit (67) aus Jerusalem, die unter ihrem schlechten
Gesundheitszustand leidet, ist eine von jenen, die einen Vertrag
abgeschlossen haben. Der Friedhof in ihrer Wohngegend befindet sich auf
einem Berg, und bei fast allen Bestattungen, an denen sie teilnahm, sei
der Verstorbene auf dem steilen Abhang fast von der Bahre gefallen. Sie
fühlt sich abgestoßen von der gesamten Zeremonie, bei der der
Verstorbene ohne Sarg in sein Grab hinabgleitet. Da sie verwitwet und
kinderlos sei, wolle sie Verwandten und Bekannten den Gang zur
Beisetzung zu ersparen. Nurit hat sich mit einer befreundeten
Rechtsanwältin beraten und ihren Entschluss in ihrem Testament
festgelegt. Ihre Asche sei über den Bergen von Jerusalem zu verstreuen.
Dafür musste sie weitere 1000 Schekel zulegen. Wenigstens würde sie in
einer schöner Landschaft aufgehen.
Kampf um einen Leichnam
Auch Michal Petruschka (47), die an fortgeschrittener
multipler Sklerose leidet, hat sich für die Einäscherung entschlossen.
"Ich bin krank, und mir wäre am liebsten, sofort zu sterben. Aber auch
das ist hier verboten. Ich möchte wenigstens ein glattes und
ästhetisches Ende."
Wie sich aber herausstellt, ist die Festlegung im Testament
aber keine Garantie dafür, dass dieser letzte Wunsch erfüllt wird. Dies
beweist eine emotionsgeladene Affäre der Firma "Alei Schalechet" vor
etwa drei Wochen. Am 3. August verstarb die 92-jährige Viktoria Ortman
im Wolfson Hospital in Cholon. In ihrem Testament beauftragte sie ihre
Tochter, die Schauspielerin Chava Ortman, ihren Leichnam einzuäschern.
Der Enkel der Verstorbenen, der Sohn von Chavas Schwester, der zum
orthodoxen Judentum zurück gekehrt ist, verwehrte die Durchführung des
seinerzeit mit der Firma "Alei Schalechet" unterzeichneten Vertrags. Er
reichte eine Klage gegen das Wolfson-Hospital wegen medizinischer
Fahrlässigkeit ein, um die Einäscherung hinauszuzögern. Der
Richterforderte einen Vergleich. Mit Unterstützung der
Zak'a-Organisation setzte der Neffe seine Tante so sehr unter Druck,
dass sie sich bereit erklärte, der Übergabe des Leichnams an den Enkel
zuzustimmen. Die Firma "Alei Schalechet" wurde von Chava Ortman von
ihrer vertraglichen Verpflichtung befreit.
Der Zak'a-Verband sah sich als Wiederhersteller des
Hausfriedens und erklärte in einer Mitteilung an die Presse: "Die
Angehörigen der Verstorbenen haben schockiert festgestellt, dass ihre
jüngste Tochter mit der Firma 'Alei Schalechet' einen Vertrag über die
Einäscherung der Leiche der Verstorbenen abgeschlossen hat. Die
Angehörigen konnten die Tochter dazu bewegen, von diesem fürchterlichen
Schritt Abstand zu nehmen, insbesondere im Hinblick darauf, dass die
Verstorbene eine Holocaust-Überlebende war, die ihre Angehörigen in den
Krematorien der Vernichtungslager der Nazis verloren hat".
Chava Ortman bezeichnet die Mit teilung des Zak'a-Verbandes
an die Presse als "einen Haufen von Lügen". Ihre Mutter, "eine geistig
völlig klare Frau, die allein und ohne jede Hilfe in ihrer Wohnung
lebte, die vernünftig und aufgeweckt war, eine Jeckete, die nichts dem
Zufall überließ", habe vor zwei Jahren einen Vertrag mit einer Firma
unterzeichnet, die nach ihrem Tod ihren Leichnam zur Einäscherung nach
Zypern bringen sollte. Nachdem sie von der Möglichkeit der Einäscherung
in Israel erfuhr, habe sie den Vertrag rückgängig gemacht und "Alei
Schalechet" mit der Behandlung der Angelegenheit beauftragt.
"Nach dem Tod meiner Mutter ließ ich meinem Neffen Zeit,
von ihr Abschied zu nehmen", erklärt Chava Ortman. "Doch dies wurde von
streng orthodoxen Kreisen dazu benutzt, hinter meinem Rücken mit "Alei
Schalechet" in Kontakt zu treten, um herauszufinden, wo der Leichnam
aufbewahrt wird. Während ich noch abwartete, dass mein Neffe sich mit
der Einäscherung abfindet, wurde mir eine Gerichtsverfügung mit der
fiktiven Behauptung zugestellt, dass medizinische Fahrlässigkeit
vorliegt, während Delegierte des Zak'a-Verbandes heraus zu bekommen
suchen, wo sich der Leichnam meiner Mutter befindet. Es ist eine
Schande, dass wir sie von einem Ort zum anderen transportieren mussten!"
"Bei der Gerichtsverhandlung verzichteten die
Zak'a-Vertreter auf die Behauptung ärztlicher Fährlässigkeit. Noch in
der selben Nacht bat mich mein Neffe um Verzeihung für seine
Gerichtsanrufung und flehte mich an, trotz allem von der Einäscherung
Abstand zu nehmen. Das machte mich schließlich mürbe und ich habe
nachgegeben. Die Zak'a-Delegierten interessierten sich nur für die
Einhaltung der halachischen Vorschriften. Meine Seelenruhe und die
meines Neffen kümmerten sie nicht im Mindesten", sagt Chava Ortman.
Michael Gutweiner, der Leiter der juristischen Abteilung
von Zak'a, erklärt, dass sich sein Verband erst eingeschaltet habe,
nachdem er von dem Enkel der Verstorbenen darum gebeten worden sei. Er
gibt zu, dass Zak'a alles tun wird, um ein Verbot der Einäscherungen zu
erwirken. Seinen Angaben zufolge arbeiten die juristischen Berater von
Zak'a - insgesamt 37 - unter der Leitung des streng orthodoxen
ehemaligen Finanzministers Jaacov Neeman an einem juristischen Gutachten
für die Kanzlei des Ministerpräsidenten und den Justizberater der
Regierung über die Illegalität der Leichen-Einäscherung in Israel.
"Ein Mensch hat kein Recht, mit seinem Körper zu tun, was
er will, selbst dann nicht, wenn er seinen Wunsch in einem Testament
festgelegt hat", sagt Gutweiner. "Die Tatsache, dass etwas noch nicht
als illegal erklärt wurde, besagt noch nicht, dass es legal ist. Die
Leichen-Einäscherung verstößt gegen die Sitten, und Zak'a widersetzt
sich dem ebenso wie dem Handel mit Organen. Die Bestattung Verstorbener
ist eine wichtige Norm im Staat Israel. Um Leichname bestatten zu
können, werden Terroristen aus der Haft freigelassen. Es gibt sogar ein
Gesetz, auch jene zur Bestattung zu bringen, die ihren Körper der
Wissenschaft vermacht haben".
Nach Ansicht Gutweiners verwehrt auch das zivile
Bestattungsgesetz die Legalisierung von Einäscherung, da ausschließlich
von Beerdigungen die Rede ist, ohne dass die Möglichkeit der
Einäscherung erwähnt wird. "Hier geht es um eine Sache des öffentlichen
Interesses. Holocaust-
Überlebende wandten sich an uns und und erklärten, wie erschüttert sie
über die Möglichkeit von Leichen-Verbrennungen in Israel seien. Ich bin
überzeugt, dass das Gericht die Einäscherungen für illegal erklären
wird".
Alles des Geldes wegen
Der Direktor von "Alei Schalechet", Alon Nativ, lässt sich
durch Zak'a nicht aus der Ruhe bringen. Er betont, dass es kein Gesetz
gegen die Einäscherung gibt. Im Gegenteil: es gibt Gesetze, die den
Pluralismus auch bei Bestattungen bestätigen. Der Haken dabei ist, dass
dies manchen Kreisen absolut nicht gefällt, und es stehen "Alei
Schalechet" noch harte Gefechte bevor.
Eines bezieht sich auf die Bekanntmachung der Möglichkeit
einer Einäscherung. Das Unternehmen hat sich schon an das
Gesundheitsministerium gewandt und verlangt, bei Krankenhäusern und
Krankenkassen ebenso wie die "Chevra Kadischa" auftreten zu dürfen.
Bisher kam noch keine Antwort vom Gesundheitsministerium. Nativ hat auch
einen schweren Konflikt mit der "Chevra Kadischa". Seiner Ansicht nach
geht es hier nicht um Glaubenssätze, sondern um Geld. Die "Chevra
Kadischa" habe das Monopol für Bestattungen, "und das wollen sie nicht
einbüßen".
Rabbiner Elasar Gelbstein, Generaldirektor und Sprecher der
"Chevra Kadischa", betont, die Körperschaft sei kein
Geschäftsunternehmen wie "Alei Schalechet". Die "Chevra Kadischa"
befasst sich mit der Bestattung nach halachischer Vorschrift in Würde,
Reinheit und Ehre. Die Verbrennung des Leichnams eines Juden erinnere
auf schwer erträgliche Weise an die Schoah. Der aschkenasische
Oberrabbiner Israels Jona Metzger bekräftigt die Einstellung der "Chevra
Kadischa" und erklärt: Es besteht ja doch ein Unterschied zwischen
Mensch und Tier. Das Tier hat mit seinem Tod seine Aufgabe beendet. Der
Mensch aber ist die Krone der Schöpfung, seine Seele steigt in die
jenseitige Welt auf und erfüllt dort ihre Aufgaben. Daher kommt dem
Körper des Menschen, der in den heiligen Schriften als 'Behälter der
Seele' bezeichnet wird, eine große und besondere Bedeutung zu, und daher
ist ihm eine besondere Heiligkeit inne, die verpflichtet, ihn mit Würde
zu behandeln und zur Erde zu bestatten."
Ein weiterer Kampf, der Alon Nativ bevorsteht, betrifft die
Nationalversicherung "Mossad le-Bituach Le'umi" und deren eventuelle
Beteiligung an den Kosten der Einäscherungen. "Jeder Israeli hat das
Anrecht auf eine kostenlose Bestattung, die mit seinen Beiträgen an die
Nationalversicherungsanstalt finanziert wird", erklärt er. "Die
Definition der Bestattung impliziert das Eingraben im Erdboden, so dass
Einäscherungen nicht in den formellen Rahmen des Gesetzes einbezogen
sind und hier offensichtlich ein juristisches Problem vorliegt".