Ideologischer Hass, blindwütiger Fanatismus, Terror:
Ein böser Virus der besonderen Art
Von Alice Schwarz
Vor dem Eingang zum Einkausfzentrum steht eine kleine
Menschenschlange. Der junge Wächter ist besonders gewissenhaft. Ist er
sich seiner Wichtigkeit, seiner Verantwortung bewusst, ist es Angeberei
oder nimmt er sein Amt in der Tat so ernst? Alle werden genau
durchsucht.
Vor mir steht eine junge Frau mit einem Kinderwagen.
Darin strampelt ein vielleicht zwei, drei Monate altes Baby. Davor
einige Hausfrauen, ein Mitarbeiter eines Ladens im Zentrum mit einem
Kleiderbündel. Die Schlange rückt langsam vor. Jetzt ist die junge
Mutter dran. Sie ist in Begleitung einer anderen jungen Frau, denn an
diesem Nebeneingang zum Dizengoff-Center gibt es ein paar Stufen. Die
Freundin wird beim Hinunterheben des Kinderwagens helfen. Aber vorher
müssen beide noch kontrolliert werden. Der junge Wächter ist wie gesagt
pflichtbewusst. Er schaut im Kinderwagen nach. Er guckt unter die Decke
des strampelnden, aber geduldigen Babys. Auch ins Windelkörbchen. In die
Provianttasche. In die Mini-Handtasche der jungen Frau. Dann wird noch
mit dem Sensorenstab das Dach des Kinderwagens abgetastet. Die junge
Mammi, die Freundin, alles wird überprüft. Fünf Minuten hat es gedauert.
Alles O.K. Sie dürfen passieren. Es ist ja bekannt, dass junge Mütter
sich gern zwischen Frühstück und Lunch ein bisschen in die Luft
sprengen. Also Vorsicht.
Jetzt bin ich dran, und er beginnt in meiner
Handtasche zwischen Notizbuch, Zeitung, Geldbörse und Schlüssel
eindringlich zu stöbern. Alte Damen sind besonders verdächtig. Doch ich
bin auch O.K. Prüfung bestanden, Eintritt gestattet.
Man möchte gerne lachen ob des leise grotesken Mangels
an psychologischem Einfühlungsvermögen des jungen Wächters. Aber dann
vergeht einem die Heiterkeit. Man erinnert sich an den
Selbstmordterroristen mit Frauenperücke, modischer Halskette und
Lippenstift, der im Park-Hotel in Nathania zu Pessach als "Gast" getarnt
auftauchte und Dutzende ahnungsloser Festgäste mit sich in den Tod riss.
Und an die Selbstmordattentäter, die als Haredim (orthodoxe Juden),
Soldaten oder schwangere Frauen verkleidet waren. An die blutjungen
palästinensischen Mädchen, die unter dem dringenden Impuls, Märtyrerin
zu werden, sich mitsamt anderen in die Luft sprengten. Man denkt an den
Wächter am Eingang zum Jerusalemer Supermarkt, der von einer Terroristin
ermordet wurde, an seine Kollegen, die am Eingang zu Disco oder Cafe den
Terroristen in den Weg traten und ihre Pflichterfüllung mit dem Leben
bezahlten. Plötzlich lacht man überhaupt nicht mehr.
Was ist das für ein schrecklicher Virus, der von den
moslemischen Fundamentalisten, denn meist sind es solche, in die Welt
gesetzt wurde? Wer ihm begegnet ist, oder von ihm bedroht scheint, kann
die Terroristenjagd eines George W. Bush nicht, wie so manche
insbesondere europäische Politiker und Publizisten, auf die leichte
Schulter nehmen. Man kann diese Sorge nicht übertrieben finden. In der
Tat muss alles nur denkbar Mögliche getan werden, um den sozialen und
ideologischen Sumpf trocken zu legen, in dem die Verbreiter dieses Virus
gedeihen. Vielleicht hilft Bushs Dominotaktik gegen den Fanatismus.
Unvorstellbar und unerklärlich ist vor allem die
Kaltblütigkeit und Berechnung, mit der die Selbstmordterroristen auf ihr
Ziel, den eigenen Tod und den Massenmord, zugehen. Man steht
verständnislos vor ihrer Seelenverfassung. Das sind keine "Assassinen",
wie ihre geschichtlichen Vorgänger hießen - jene Angehörige eines 1080
gegründeten ismailitischen Geheimhundes, der den Vorderen Orient fast
zwei Jahrhunderte lang in Schrecken hielt. Das dauerte, bis dessen
Zentrale, Alamut, 1250 von den Mongolen zerstört wurde. Haschisch diente
den Assassinen - daher der Name - zur Erreichung eines Zustands
mystischer Verzückung. Dabei wurden sie willenlose Werkzeuge für
politische Morde. Aber ihre heutigen Nachahmer brauchen kein Haschisch
mehr. Sie berauschen sich an einer Idee und handeln völlig nüchtern. Ein
Beispiel ist das Vorgehen der beiden Attentäter vom Pub "Mike's Place",
die am 30. April ihr Attentat verübten. Die Polizei hat jetzt ihre
Schritte genau zurück verfolgt.
Die beiden trafen am 12. April, zweieinhalb Wochen vor
der Tat, aus Jordanien in Israel ein. An der Allenby-Brücke erregte
einer Verdacht, wurde untersucht, man fand aber nichts und beide durften
passieren. Dieser Selbstmordterrorist, Mohammed Hanif, 22, war in
Pakistan geboren. Doch wie sein Freund, Omar Chan Scharif, 27, hatte er
einen britischen Pass.
Die Beiden vergeudeten keine Zeit. Sie trafen in Rafah
und Khan Junis mit Hamas-Aktivisten zusammen. Am 14. April besuchten sie
die den Juden und Moslems heilige Höhle Machpela, Grabstätte der
Erzväter und Erzmütter in Hebron. Am 20. April übernachteten sie in
einem Hotel in Jerusalem. Am nächsten Tag mieteten sie ein Zimmer in
einem Hotel unweit der Strandpromenade in Tel Aviv. Am 22. und 23. April
fuhren sie nach Ramallah und Nablus, am Tag darauf in den Gaza-Streifen.
Wenigstens zweimal überquerten sie den Eres-Grenzübergang zwischen
Israel und Gazastreifen. Vor der zweiten Ausreise aus dem Gazastreifen
hatte der Geheimdienst Schabak den Befehl erlassen, alle Besitzer
ausländischer Pässe genau zu kontrollieren. Als die beiden am 29. April
- am Tag vor dem Anschlag - am Übergang eintrafen, wurden sie zur
Befragung zurückgehalten, Doch sie wurden durchgelassen. Der Schabak
hatte übrigens eine Warnung vor einem Anschlag in Tel Aviv erhalten -
aber ohne Details.
Am Dienstag, dem Tag vor dem Anschlag, betraten die
Beiden um 16.45 Uhr die Herberge "Hajarkon 48" in der Hajarkonstraße in
Tel Aviv. Sie buchten bei der Rezeptionistin Jael ein Zimmer für eine
Nacht und bezahlten 189 Schekel. Sie trugen modische Rucksäcke und
hatten je ein Exemplar des Reiseführers "Lonely Planet" über den Nahen
Osten bei sich. Beide sprachen ein akzentfreies "klassisches" Englisch
und erzählten, dass sie Tel Aviv besichtigen wollten. Die Rezeptionistin
prüfte die beiden britischen Pässe und trug ihre Namen ins Gästeregister
ein. Niemand im Hotel schöpfte auch nur den geringsten Verdacht. Einer
der Hotelbesitzer, Omri, erzählt, er habe schon öfter europäische Gäste
nahöstlicher Herkunft gehabt. Die Beiden sprachen wie gesagt ein
akzentfreies Englisch und der eine zeigte sogar Sinn für Humor: er
scherzte mit der Rezeptionistin. Beide Todeskandidaten und Mörder hätten
"einen sehr intelligenten Eindruck gemacht".
Die beiden Terroristen begaben sich in ihr Zimmer im
ersten Stock, duschten und kleideten sich um, bevor sie auszogen, um Tod
und Verderben zu säen. Bei ihren Sachen fand man eine Menge
Toilettenwasser, Kosmetika und eine Stadtkarte des Zentrums von Tel
Aviv, wo sie mehrere mögliche Ziele angezeichnet hatten. Eine
Viertelstunde nach Mitternacht begaben sie sich auf ihren letzten Gang.
Um ein Uhr nachts sprengte sich der eine Terrorist vor
dem Cafe "Mike's Place" in die Luft. Eine junge Kellnerin und zwei
Musiker kamen ums Leben. Etwa 60 Menschen wurden verletzt. Bald nach dem
Anschlag erschien die Polizei in der Herberge und stellt schnell fest,
dass die Terroristen hier gewohnt hatten. Die Rezeptionistin versuchte,
Schritt für Schritt den Hergang ihres Aufenthalts zu rekonstruieren. Der
"erfolgreiche" Terrorist, der sich in die Luft sprengte, ein etwas
dicklicher Mensch, sei geradezu "charmant" gewesen, sagt sie. Der
plastische Sprengstoff, den die beiden benutzten, ist ganz dünn, wie
Papier, und besonders "wirksam". Die Sicherheitsbehörden sind deswegen
ziemlich besorgt. Er lässt sich leicht verstecken. Verteidigungsminister
Schaul Mofas erklärte, die Terroristen hätten den Sprengstoff in einem
ausgehöhlten Koran ins Land geschmuggelt. Nach einer anderen Quelle aus
Geheimdienstkreisen wurde er eine Woche vorher von einer französischen
Bürgerin in den Gazastreifen gebracht, die auf dem Luftweg auf dem
Ben-Gurion-Flughafen angekommen war. Sie gab sich als Journalistin aus.
Man hatte den Stoff offensichtlich in ihrem Ausgangsflughafen nicht
gefunden.
Auf jeden Fall hatte der Terrorist ca. zwei Kilogramm
Sprengstoff bei sich, der in das Futter seines Jacketts eingenäht war.
Der zweite Terrorist, der nach dem Anschlag verschwand, hatte
Sprengstoff in einem Bucheinband bei sich. Möglicherweise wurde er von
der ersten Explosion verletzt und konnte daher seinen Sprengsatz nicht
zünden, oder aber die Zündvorrichtung versagte. Vermutlich ist er wegen
seiner Verwundung ertrunken, als er ins Meer zu flüchten versuchte.
Seine Leiche wurde einige Tage später gefunden. Ein vermeintlicher
Komplize aus Kafr Na'ama im Bezirk Benjamin wurde verhaftet und wieder
freigelassen. Er hatte geglaubt, die Zwei seien linke Sympathisanten der
Palästinenser, nicht Terroristen. Ebenso wurde eine italienische
Journalistin verhaftet, die die beiden im Auto vom Gazastreifen nach Tel
Aviv gebracht hatte. Auch sie wusste nichts und hielt sie für
Linksaktivisten. Sie wurde freigelassen und des Landes verwiesen. Das
Zellulartelefon der Toten bewies, dass sie viele Kontakte mit
Linkskreisen und mit wenigstens sieben weiteren italienischen
Journalisten hatten, die sie um Transporthilfe baten. Alle hielten sie
für linke Sympathisanten der Palästinenser und waren gern zu
konspirativer Hilfe bereit. Einige der Journalisten wurden ebenfalls
ausgewiesen und werden nicht mehr einreisen können. Angesichts der
wilden anti-israelischen Hetze in aller Welt ist die Grauzone der
unwillig-willigen Mithelfer sehr breit.
Wie werden scheinbar normale Menschen zu Zoombies und
wandelnden Toten, die in einem Moment charmant mit der
Hotelrezeptionistin scherzen und im nächsten ein Vierteldutzend Menschen
wie auch sich selber umbringen? Diese britischen Bürger lebten nicht
unter israelischer Besatzung, sie hatten nicht unter Ausgehverbot oder
"unwürdiger Behandlung" zu leiden, sie erduldeten weder Hunger noch
sonstige Not. Sie lebten in England und es ging ihnen gut.
Ein verhinderter palästinensischer
Teenager-Selbstmordterrorist, der fürs israelische Fernsehen ausführlich
befragt wurde, hat es erklärt. Es ging ihm nie schlecht, er hat
studiert, er hat keine Angehörigen im Kampf gegen die Israelis verloren,
er ist nichtmal besonders religiös, denn ausgerechnet in Religion hatte
er am College eine schlechte Note und ist durchgefallen. Aber er wollte
- vielleicht nun erst recht - ein Schahid, ein angesehener Märtyrer
werden! Weil alle das wollen, weil es ehrenvoll und welterlösend ist! Er
lernte die Israelis und Juden hassen, seitdem er denken kann. Das ist
der Virus, der bekämpft werden muss: ideologischer Hass, blindwütiger
Fanatismus, per Gehirnwäsche weltweit unsichtbar und verhängnisvoll
verbreitet. Ihn gilt es auszurotten, bevor es für die Welt zu spät ist.
IN - 05-06-03
hagalil.com - 11-06-03
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